Als der Tod ein Volksfest gab--Richten und Strafen in alter Zeit. Stadtmuseums Halle.
Published on H-Soz-u-Kult (June, 2000)
Halle stellt sich als eine Stadt dar, die an eine Tradition kultureller Ereignisse grossen Stils anknuepft. Fuer die gegenwaertig anstehenden 49. Haendel-Festspiele wirbt und lockt sie mit vielen Ankuendigungen und Plakaten im oeffentlichen Raum. Das kleine Stadtmuseum, das nach Groesse und Ausstattung kaum hoffen kann, ueber den staedtisch-regionalen Bereich hinaus Besucher und Besucherinnen anzuziehen, weist auf die eigene Sonderausstellung lediglich mit einem einsamen Plakat vor der Tuer und zwei Internetauftritten hin (http://www.halle.de und http://www.stadtmuseum-halle.de). Das Christian-Wolff-Haus, Stadtmuseum in Halle, praesentiert sich in einem schoenen maechtigen Buergerhaus. Dieser Bau aus der Zeit der Renaissance verfuegt dank einer Restauration in den 1990er nun wieder ueber das Dekor, mit dem er sich im fruehen 18. Jahrhundert auszeichnete. Auf einer Etage seiner drei Geschosse ist die aktuelle Sonderausstellung "Als der Tod ein Volksfest gab--Richten und Strafen in alter Zeit" zu sehen. <p> Ein Keuschheitsguertel, kommentiert mit knappem Text, eroeffnet die Ausstellung im ersten Stock. Programmatisch soll die uns selbstverstaendliche koerperliche Freizuegigkeit und Selbstbestimmung mit dem domestizierten und eingekerkerten Leib kontrastiert werden. (Dennoch stellt der Kommentar dem Keuschheitsguertel gleichsam positiv in Rechnung, das er vor Vergewaltigung geschuetzt habe, resuemiert in Hinsicht auf dieses Zwangsgeraet, dass es "in jedem Falle aber unstreitig ein Folterinstrument" sei.[2]) Allein das Beduerfnis, eine deutliche moralische Distanz zu markieren, rechtfertigt diesen Folterbegriff, der die gewalttaetige Zwangssituation der peinlichen Befragung mit einem Beispiel patriarchaler Bedrueckung des weiblichen Leibes identifiziert. <p> Die Ausstellung fuehrt weiter durch eine Flucht von Raeumen, in denen einige kostuemierte Schaufensterpuppen Szenen vor Gericht, in der Zelle eines Inhaftierten und bei der Exekution verschiedener Hinrichtungen darstellen. Zuerst sieht man eine Gerichtssituation. Vor einer buehnenbildartig bemalten Wand ist ein Tisch aufgestellt. Auf ihm thronen Insignien der Rechtspflege (unter anderem ein Schwert). Der Richter sitzt flankiert von zwei Beisitzern am Tisch, waehrend der Delinquent stehend sein Urteil erwartet. Gekleidet sind die Figuren--hier wie in den anderen Szenen auch--so, dass sie nicht strikt einer bestimmen historischen Wirklichkeit zuzurechnen sind. Sie sollen offenbar vormoderne Vergangenheit oder, wie der Ausstellungstitel formuliert, die "alte Zeit" evozieren. Die Geschichte, die hier inszeniert wird, ist Vorzeit, und zwar eine barbarische Vorzeit vor der rechtsstaatlich verfassten buergerlichen Gesellschaft. In dieses Konzept, das Informationen aus verschiedenen sozialen Kontexten assoziiert, fuegen sich die allgemein einfuehrenden Texte, die in jedem Raum informieren, und Reproduktionen rechtsgeschichtlicher Bilddokumente (Abbildungen aus der illuminierten Handschrift des hansischen Rechtes von 1497 oder des Soester Nequambuches [1315-1421]). Das historisch Disparate wird vereinigt durch seinen Gegensatz zu den Tugenden der Gegenwart.("Das Mittelalter dachte anders" heisst es, wer in ihm lebte, war kein "Verstandesmensch" und war grausam.) <p> Die szenischen Konfigurationen ermoeglichen dem Besucher, die Rolle eines stillen Beobachters einzunehmen. Wir schreiten eine Kerkerzelle ab. Wie hier gleichsam unvermeidlich, d.h. klischeehaft die Requisiten Fledermaus, Ratte, Feldmaus und Fusskette mit Eisenkugel das Elend des Haeftlings begreifbar machen sollen, laedt fast zum Schmunzeln ein; die Wirklichkeit des Lochs oder des Narrenkaefigs oder wie auch immer die Inhaftierungsraeume in den Staedten hiessen, soll drastisch und konfrontativ dargestellt werden. (Dass manche Inhaftierte einfach tuermen konnten, weil der Waerter keine Lust hatte den ganzen Tag und die ganze Nacht den "Kasten" zu bewachen, wuerde so gar nicht mit der hier dargestellten Szenerie uebereinstimmen--und gehoerte doch auch zur Wirklichkeit der alten Zeit.[3]) Die naechsten Raeume stellen das Ertraenken und Sieden und das Raedern und Verbrennen und weitere Formen der Hinrichtung dar. Die Schaufensterpuppen, die trotz eines finsteren Make-up, brav und unbeteiligt aussehen, stellen ein Missverhaeltnis zwischen der Drastik der Strafen des Haengens, Siedens, Ertraenkens und ihrer leblosen Seelenruhe her. Dennoch gelingt es mit ihrem Einsatz, Situationen zu schaffen. Wenn eine Familie mit Kind beobachtet, wie ein Delinquent dem Schafott zugefuehrt wird, wird unmittelbar begreiflich, dass Hinrichtungen in der europaeischen Vormoderne ein oeffentliches Spektakel boten und nicht in anonymen Hinterhoefen stattfanden. Unter Beruecksichtigung der Mittel, die dem Stadtmuseum Halle zur Verfuegung standen, muss man diese Installationen als Medium wohl als gelungen bezeichnen, obwohl die Puppen, auch wenn es zum Schlimmsten kommt, steif und teilnahmslos wirken. Der Gang durch die Buehne des Strafens endet mit der Folter. Geschickt ist auch hier der architektonische Putz zurueckgenommen und verkleidet, so dass die nachgebauten Instrumente wie Streckbank oder gespickter Hase wirklich eher mit Folterkammer und nicht mit einem Museum assoziiert werden. Den Schlusspunkt des szenischen Teils dieser Ausstellung (und zugleich Bezugnahme auf ihren Anfang) setzt die Folter, offenbar weil sie als der affektiv am staerksten besetzten Gegenpol zur guten staatlichen Ordnung heute, die den Koerper nicht unmittelbar attackiert, gelten soll. <p> Nun wird es hell! Weisse Waende mit freigelegtem Fachwerk praesentieren mit Tafel und Vitrinen Informationen und alte, historische Exponate (zumeist Leihgaben aus dem Kriminalmuseum Rothenburg ob der Tauber) lenken die Aufmerksamkeit auf sich. Thematisch ueberwiegen in der Darstellung Strafen, die an den Leib, aber nicht an das Leben gingen. Dazu kommen Schand- und Ehrenstrafen. Das Darstellungsprinzip des Affronts, das es erlaubt, ganz unterschiedliche historische Kontexte zu zitieren, wenn sie nur als gegensaetzlich zu unserer Wirklichkeit empfunden werden, bleibt erhalten. So finden der Strohkranz fuer die geschwaengerte Braut, ein Mittel informeller Stigmatisierung, und die Schandgeige, ein Instrument der obrigkeitlich verfuegten Erniedrigungn, zusammen! <p> Ergaenzt werden in diesem Stil--darin liegt sicherlich die Staerke eines stadthistorischen Museums--in einem parallel gelegenen Raum Informationen zu Strafen und brutalen Prozessen in Halle und Umgebung. Informationen ueber ein koenigliches Strafgericht von 1130, das Lothar von Supplinburg gegen Halle durchfuehrte, scheint allzu geographisch assoziiert, ging es doch in diesem Fall nicht um obrigkeitliche (oder gar kommunale) Strafgerichtspflege. Anschaulich werden fuer Halle stadtgeschichtlich relevante Faelle wie die "Affaere Schoenitz" aus dem Jahre 1528 geschildert. Die Ausstellung ist endlich bei den historisch im einzelnen nachweisbaren Ereignissen angekommen. <p> Hat sich die Vorbereitung der szenischen Animation des ersten Teils bewaehrt? Um Interesse dafuer zu wecken, sich detailliertere Informationen anzueignen,--vielleicht. Die Ausstellungsmacher vernachlaessigten aber voellig die Moeglichkeit, die eigenen Vorstellungen an der Praxis zu ueberpruefen. Sie haetten erwaegen koennen, dass das fatale Gestaendnis des Schoenitz nicht ein Tatsachenbekenntnis war, sondern erfoltert wurde. Sie haetten feststellen koennen, dass was so schoen in die Logik der spiegelnden Strafen zu passen scheint, naemlich dass der Falschmuenzer, der betruegerisch Metall verschmilzt, selbst der Strafe des Siedens unterworfen wird, nicht zutrifft. Der Fall des Hans von Haderslebens, im Jahr 1412 mit einem Gemaelde praechtig in Szene gesetzt, lehrt, dass der angeklagte Patrizier zwar als Falschmuenzer verurteilt, aber dann auf den Scheiterhaufen gestellt wurde. Dieser Unterschied allein waere nichtig. Er verweist aber auf ein Irrtum im Prinzipiellen.[4] Die Straffantasien, die sich seit dem Hochmittelalter in normativen Texten ausdruecken und dort verschriftlicht sind, charakterisieren nicht die Sanktionspraxis. Manche Nachrichten legen den Schluss nahe, dass die Todesstrafen nicht allzu haeufig, und wenn, dann gegen Personen von prekaerem sozialen Status exekutiert wurden. Strafen resultierten nicht automatisch aus den festgestellten Sachverhalten.[5] Strafen in den Staedten des spaeten Mittelalters wurden verhandelt, verkauft oder wohlwollend vergessen. Die Anwendung der Strafen war personen- und situationsgebunden. Die aufs Spektakulaere gerichteten, bildlich konzipierten Straflogiken, denen die Ausstellung die Menschen ausgesetzt sieht, dominierten nicht. Die Ausstellung suggeriert einen Absolutismus des Gesetzes, eine Projektion rechtsstaatlicher Verfassungstreue auf die herrschaftliche Gemengelage in Spaetmittelalter und Frueher Neuzeit. Normative Texte, die manche Idee der Ausstellungsmacher angeregt haben moegen, fuehren unter solchen Umstaenden in die Irre. Die Ausstellung vergibt die Chance, Vergangenheit in ihrer eigenen Logik darzustellen. Die "alte Zeit" als schreckliche Gegenwelt vorgestellt dient lediglich dazu, uns die Identifikation mit unseren eigenen Werten zu erleichtern. <p> Der Flyer, den ich beim Eingang in die Hand gedrueckt erhielt, schliesst mit dem Satz: "Diese historischen Vorgaenge, die selbst von einer ueberhitzten Phantasie heutigentags fuer unglaublich gehalten werden muessten, will die Sonderausstellung [...] dem Besucher drastisch und plastisch vor Augen fuehren." Diskreditierung gesellschaftlicher Systeme, deren Werte uns fremd sind, tritt hier absolut an einem Ort auf, wo auch haette Raum sein muessen fuer die sozialgeschichtliche Erklaerung der natuerlich ganz zu recht inkriminierten Sachverhalte. Sind es Ziele der staatsbuergerlichen Erziehung, die diese Ausstellung nach Meinung der Organisatoren vor allem an Kinder und Jugendliche empfehlen sollen, die eine solche Ambivalenz zwischen moralischer Verurteilung und historischer Analyse verhindern?[6] <p> Der schmucke Flyer versichert, dass die Ausstellung "Gefuehle und Empfindungen des Besuchers" erregen wolle. Diesem Ziel scheint die Aesthetik der Internetseiten des Stadtmuseums zu dieser Ausstellung in besonderem Masse verpflichtet zu sein. Die Website macht mit jahrmarktartigen Effekten auf. Ein kleiner blaeulich schimmender Totenkopf flankiert den roten Schriftzug des Titels der Ausstellung. Darunter plaetschert von einer waagerechten Linie Blut. Unter der Grafik, die das Gemaelde von der Hinrichtung Hans von Hederslebens zeigt, schaut ein Skelett mit blinkenden Augen um sich. Von hier aus sind Texte zur Ausstellungsthematik zu erreichen. <p> Ansprechende historische Abbildungen (leider ohne Quellennachweis) unterstuetzen die Darstellung dieser Texte. Allerdings wie schon bei den Tafeln in der Ausstellung werden sachliche Informationen zu den Prozeduren verschiedener Hinrichtungen oder herrschaftlicher Gewalttaten gegeben und zugleich moralische Betroffenheit und Grauen zelebriert. Ein Blick zum Beispiel auf den Text ueber "Das Verhoer", und man sieht, wie der moralisch entruestete Kommentar den Raum fuer Erklaerungen nicht zulaesst, warum solche grausamen Institutionen gesellschaftlich akzeptiert waren und "funktionierten".[7] Ist die Quintessenz historischer Betrachtung in diesem Bereich wirklich, dass wir bessere Menschen sind? Fast in modellhafter Klarheit bietet sich hier eine Sicht der Vergangenheit dar, die sich allein der Gueltigkeit heutiger moralischer Werte vergewissern will. <p> Trotz aller Kritik sollte aber auch eines klar werden. Anders als z. B. das Freiburger "Mittelalterliche Foltermuseum", das als flink installierter Betrieb der Tourismusindustrie den Grusel sucht, hat die Ausstellung in Halle eine klare paedagogische Ambition. Es scheint schwierig zu sein, das Thema der Folter oder der extrem gewalttaetigen und quaelenden Strafen zu behandeln, und dies wohl gerade, weil es in unserem zivilisierten Lebensraum auf ein schauderlustiges Interesse stoesst. Darstellungen wie sie insbesondere in Burg Sommeregg, auch in Ruedesheim und in Wien--wenigstens nach den Praesentationen im Internet zu urteilen (http://www.folter.at/; http://www.net4you.co.at/users/berger/foltermuseum.html in Burg Sommeregg; http://middle-ages-torture.com/ in Ruedesheim)--von den Foltermuseen gegeben werden, weisen einmal auf das enorme Gewaltpotential vergangener Herrschaftskulturen, zugleich aber auch auf unsere Lust, uns daran zu entsetzen. Solche Museen mutieren zu Horrorkabinetten und Geisterbahnen. <p> Anmerkungen: <p> [1]. Die allgemeine Seite der Stadt variiert diesen Titel leicht und oeffnet ihn so fuer kuriose Interpretationen"Als der Tod noch (sic!) ein Volksfest gab (17.5.00)". <p> [2]. Zum Keuschheitsguertel vgl. Eduard Fuchs, <cite>Illustrierte Sittengeschichte vom Mittelalter bis zur Gegenwart</cite>, Bd. 1, Renaissance, Verlag Guhl, Berlin o. J. (ca. 1983), S.332-343. Fuchs stellt uebrigens die Wirklichkeit des Keuschheitsguertels nahezu kontraer zu dem dar, was die Ausstellungsmacher behaupten. <p> [3]. Schindler, Georg: <cite>Verbrechen und Strafen im Recht der Stadt Freiburg im Breisgau von der Entfuehrung des neuen Stadtrechts bis zum Uebergang an Baden (1520-1806)</cite>, Freiburg im Breisgau 1937, S.81. <p> [4]. Es gibt leider auch Fehler im Detail, der Autor "J. Lipse", der mit dem Werk De Cruce libri tres zitiert wird, ist natuerlich Justus Lipsius (oder Joest Lips). <p> [5]. Ein ganz allgemeiner Hinweis nur: Isenmann, Eberhard: <cite>Die deutsche Stadt im Spaetmittelalter: 1250-1500. Stadtgestalt, Recht, Stadtregiment, Kirche, Gesellschaft, Wirtschaft</cite>, Stuttgart 1988, S.165. Ich selbst bereite die Drucklegung einer Dissertation vor, die diese Souveraenitaet des staedtischen Rates im Wahrnehmen von Delikten und der Anordnung von Strafen jenseits der gesetzlichen Norm thematisiert. <p> [6]. Das behauptet zumindest der detaillierte Text zur Ausstellung auf der Seite der Stadt Halle (http://www.halle.de/) <p> [7]. Das ist zumindest mein Standpunkt. Der Sammelband "Burschel, Peter; Distelrath, Goetz, Lembke, Sven (Hg.): <cite>Das Quaelen des Koerpers. Eine historische Anthropologie der Folter</cite>, Herbst 2000" soll, gerade weil die Verurteilung der Folter so unstrittig sein muss, das Augenmerk auf die sozialen Bedingungen fuer die Institutionalisierung solcher extremen Gewaltformen einnehmen.
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June, 2000.
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