Die Geschichte der Deutschen 1871-1998. Lexikon, Dokumentation, Enzyklop?die. Digital Publishing.
Published on H-Soz-u-Kult (August, 1999)
"Die Geschichte der Deutschen" kommt gewissermassen als "kleiner Bruder" der "Chronik des 20. Jahrhunderts", ebenfalls aus dem Hause Digital Publishing, auf den Markt. Waehrend die grosse Version (mit 4 CD-ROMs) Weltgeschichte praesentieren will, beschraenkt sich die kleinere ganz auf Deutschland, deckt aber immerhin die Zeit zwischen Reichsgruendung und unmittelbarer Gegenwart ab. <p> Technische Voraussetzungen sind ein Microsoft Windows-Betriebssystem (3.x, 95, 98 oder NT 4.0), 8 MB Arbeitsspeicher, Windows-kompatible Soundkarte sowie eine Bildschirmaufloesung von 600 x 800 Bildpunkten. Die Installation erfolgt von selbst, man muss die CD-ROM lediglich starten. Welche der beiden CD-ROMs man einlegt, ist egal, denn alle abrufbaren Daten sind auf beiden vorhanden; lediglich Filme und Tondokumente sind nur auf jeweils einer gespeichert. Die erste Scheibe umfasst die Zeit von 1871 bis 1945, die zweite die Nachkriegszeit. Der Wechsel zwischen den beiden CD-ROMs kann jederzeit bequem erfolgen. <p> Nach dem Start gelangt man auf den uebersichtlichen Eroeffnungsbildschirm, auf dem sich mehrere Optionen bieten. Man kann sich zunaechst an die Hand nehmen lassen und sich in zehn Dokumentationen, die jeweils etwa eine Viertelstunde lang sind, ueber bestimmte Themen informieren. Hier werden allgemeine Einfuehrungen geboten zu folgenden thematischen Bloecken: "Das Reich unter Bismarck", "Die Wilhelminische Aera", "Der Erste Weltkrieg", "Die Weimarer Republik", "Ein Volk im Gleichschritt", "Der Zweite Weltkrieg", "Zwei deutsche Staaten", "Jahre des Wandels", "Wiedervereinigung" sowie "Das vereinte Deutschland". <p> Vom Startbildschirm bzw. ueber das Menue gelangt man auch in die Rubrik "Heute vor [...]", in welcher Informationen ueber Ereignisse gegeben werden, die ungefaehr 50 oder 75 Jahre zurueckliegen. Klickt man auf den Eintrag "Biographie/Glossar", erreicht man eine alphabetisch geordnete Liste von Namen und Stichworten, zu denen ausfuehrlichere Informationen abgerufen werden koennen. Die Bandbreite der Biographien reicht von Sultan Abdul Hamid II. bis Klaus Zwickel. Die Stichworte zu erschliessen, ist etwas muehselig, weil bei etlichen die alphabetische Ordnung nach dem Artikel und nicht nach dem Substantiv erfolgt, so dass man lange Auflistungen durchforsten muss, die mit "Der" oder "Die" beginnen. Des weiteren kann man ueber die Option "Archiv" auf eine Uebersicht der Film-, Ton- und Textdokumente zugreifen und diese direkt aufrufen. Eine Suchmaschine erlaubt Abfragen nach Personen oder Stichworten. Zu diesen Hintergrundinformationen gelangt man auch, wenn man den vielen Querverweisen und Verknuepfungen zwischen einzelnen Stichworten oder Personen folgt, die in den Texten angeboten werden und per Mausklick abgerufen werden koennen. Dabei erscheint, wenn man mit der Maus auf entsprechend markierte Begriffe faehrt, in der Regel eine ganze Liste von Querverweisen unterschiedlicher Qualitaet, die durch farbliche Markierungen auseinanderhalten kann: Entweder wird eine weitere Titelseite angeboten, oder die Hinweise fuehren zu Eintraegen aus dem biographischen oder Stichwortarchiv. Fraglich ist, ob die vielen Querverweise wirklich sinnvoll sind, oder ob sie nicht eher verwirren, zumal das Hin- und Herblaettern zwischen den aufgerufenen Ebenen eher unpraktisch gestaltet ist und man gelegentlich nur schwer zur urspruenglich gewaehlten Seite zurueckfindet. Da die technische Aufmachung der "Geschichte der Deutschen" im wesentlichen derjenigen der "Chronik des 20. Jahrhunderts" entspricht, sind hier auch dieselben Maengel vorhanden (vgl. auch die Besprechung der 6 CD-ROMs von "Retrospect 1999. Die umfassende Chronik des 20. Jahrhunderts [...]" von Guido Mueller fuer H-Soz-u-Kult, URL: http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensio/digital/cdrom/multimed/mugu05 99.htm). <p> Die Such- und Verknuepfungsfunktionen ermoeglichen den systematischen Zugriff auf bestimmte Themenbereiche, wobei der Nutzwert dieser Anwendung noch dadurch erhoeht wird, dass man die aufgerufenen Informationen kopieren und drucken kann. In dieser Hinsicht wird man die CD-ROMs auch als Nachschlagewerk nutzen koennen. <p> Doch ein blosses Nachschlagewerk wollen die Multimediaproduktionen ja nicht sein, und so wird auch hier eifrig die Flagge des Edutainment geschwenkt. Reichhaltige Illustrationen, viel zeitgenoessisches Filmmaterial und zahlreiche Tondokumente sollen der Darstellung Authentizitaet verleihen und ihren Unterhaltungswert steigern. Bunt ist das Ganze schon, Neues freilich wird nicht geboten, bestenfalls fuer den Laien ohne nennenswerte Vorkenntnisse. Vielleicht laesst sich diese CD-ROM auch fuer den Geschichtsunterricht in den Schulen gewinnbringend einsetzen; im Rahmen universitaerer Veranstaltungen hielte ich sie fuer trivial. <p> Zwar ist die technische Seite dieses Produkts durchaus ansprechend und weitgehend benutzerfreundlich gestaltet; in inhaltlicher Hinsicht ist es eher aergerlich. Denn geboten wird nicht, wie angekuendigt, eine "Geschichte der Deutschen", sondern eine Geschichte der deutschen Politik. <p> Man kann bereits an den Ueberschriften der Dokumentationen erkennen, dass sich die Macher dieser CD-ROM vorwiegend an den politischen Zaesuren in der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts orientiert haben, Kontinuitaeten ueber die politischen Brueche hinweg bekommen sie nicht in den Blick. Diese Dokumentationen entsprechen in ihren Standards dem Durchschnitt der mittlerweile ueblichen Fernsehproduktionen zu historischen Themen; besondere Originalitaet kann man ihnen nicht zusprechen, weder im Zuschnitt der thematischen Bereiche, in die sie einfuehren, noch in der Auswahl und Praesentation des Quellenmaterials. <p> Insbesondere die Darstellung der Zeit bis 1945 kommt ueber eine hochkonventionelle Politikgeschichte nicht hinaus; hier werden etwa Bismarcks Buendnissystem, Bruenings Notverordnungspolitik oder die Stationen der "Gleichschaltung" praesentiert. Buecher, in denen diese Themen so altmodisch wie hier dargestellt werden--nicht immer bewegt sich das Dargebotene auf dem neuesten Forschungsstand--, wuerde man nicht mehr zur Hand nehmen wollen; hier laesst man sich vielleicht noch eine Zeitlang von den Bildern, Filmen oder Tondokumenten fesseln, doch es wird bald deutlich, dass auch sie nicht ueber die Schwaechen der Konzeption hinwegtaeuschen koennen. Zu einer "Geschichte der Deutschen" duerfte wohl mehr gehoeren als die "grosse Politik". Wo also bleiben Themen wie Kultur, Arbeit, Freizeit, Familie, Kindheit und Jugend, Frauen und Maenner, und dergleichen mehr? Hier werden sie fast vollstaendig ignoriert. Es kommt nicht von ungefaehr, dass man im biographischen Teil zwar auf solch obskure Gestalten wie Robert Greim stoesst, der fuer ganz kurze Zeit Nachfolger Goerings war, dass aber Namen wie Enzensberger, Beuys, Fassbinder oder Schloendorff fehlen. Fuer die Zeit nach 1945 ist der Horizont sogar noch etwas weiter; ueber Kultur, Gesellschaft oder Alltag im Kaiserreich oder in der Weimarer Republik ist fast ueberhaupt nichts zu erfahren. Hier hat man verstaubten Inhalten eine neue bunte Verpackung gegeben, die gewiss ganz reizvoll daherkommt, doch deren "Erkenntnismehrwert" im Grunde gleich Null ist.
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H-Soz-u-Kult, H-Net Reviews.
August, 1999.
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