Das Zeitalter des Dreißigjährigen Krieges. Alltagsleben, Wandel und Fortschritt in Jahren des Umbruchs. Bergisch Gladbach MicroMediaArts GmbH.
Die Stadt im Mittelalter. Alltagsleben hinter Turm und Mauern. Bergisch Gladbach MicroMediaArts GmbH.
Published on H-Soz-u-Kult (March, 1999)
Die hier vorzustellenden CD-ROMs im Vertrieb des Sauerlaender Verlags sind 'Edutainment' im besten Sinne: sie sind inhaltlich kompetent, didaktisch innovativ und nicht nur fuer die anvisierte Zielgruppe--vor allem Schueler der Mittel- und Oberstufe--ebenso lehrreich wie unterhaltsam. Die beiden Multimedia-Produktionen, die in symbiotischer Zusammenarbeit zwischen dem 'freien historiker buero' (Berg.-Gladbach) und der Firma 'MicroMediaArts' (Koeln) entstanden, sind zwei ueberzeugende Beispiele, wie mit multimedialen Mitteln historische Epochen in ihrer Komplexitaet und Vielfalt dargestellt werden koennen, ohne das fachliche Niveau durch die angestrebte Popularisierung zu kompromittieren oder dem Feuerwerk der technischen Moeglichkeiten zu erliegen. Was hier vorgelegt wurde, hat weder mit digitalisierten Lexika noch mit durch Hyperlinks aufgeblaehten, multimedial illustrierten elektronischen Schulbuechern zu tun, wie sie sonst oft in diesem Bereich ueblich sind, sondern kann durchaus als Pionierleistung multimedialer Gestaltung gelten. <p> Die Autoren haben sich in beiden Faellen auf ein klar umrissenes Thema beschraenkt und inhaltlich wie gestalterisch ein aehnliches Konzept verfolgt. Inhaltlich macht schon der Titel jeweils den alltagsgeschichtlichen Zugriff deutlich, wobei dies lediglich als weitgefasster Ausgangspunkt einer Didaktik angesehen werden kann, die auf dem 'Prinzip Neugier' basiert. Ausgehend von Alltagssituationen entfalten die themenorientierten Kapitel naemlich ausfuehrlich die Entwicklung der Sozialstrukturen, des Wirtschaftslebens, der Herrschafts- und Rechtsformen, die demographischen Veraenderungen sowie kulturelle und technische Entwicklungen. Obwohl eine lineare, didaktische Fuehrung des Anwenders vordergruendig nicht stattfindet, formen sich die Einzelteile dieses Patchwork nach und nach zu einem Gesamtbild der dargestellten Epoche, in der die Beziehungen der einzelnen Aspekte zueinander ebenso deutlich werden wie die Widerspruechlichkeiten. Dass dies gelingt, ist nicht nur der jeweiligen Konzeption und den ebenso verstaendlichen und einfuehlsamen wie inhaltlich fundierten Texten des Autorenteams des freien historiker bueros (Leitung: Bernd Kockerols) zu verdanken, sondern auch der kongenialen Umsetzung durch die Firma MicroMediaArts und nicht zuletzt den opulenten und detailverliebten Zeichnungen und Grafiken. Letztere schaffen in beiden Faellen einen multimedialen Erfahrungsraum, von dem aus virtuelle Streifzuege in die Unterkapitel gestartet werden koennen und interaktive Befragungen moeglich sind. Dabei wird ganz auf die Neugier des Anwenders gesetzt, der zu keiner vorgefertigten 'Reise in die Geschichte' genoetigt wird, sondern entweder seinen eigenen Fragen und Interessen folgt oder den eingestreuten Hinweisen zu naeheren Informationen nachgeht. Neben diesem spielerischen Zugriff ist ueber Indices und Themenlisten auch eine systematische Nutzung moeglich, die durch ein umsichtig ausgewaehltes, thematisch gegliedertes Literaturverzeichnis zur weiteren Vertiefung ergaenzt wird. Zusaetzlich motivierend wirkt jeweils ein--allerdings unaufdringlich und optional--integriertes Raetselspiel, das nur zu loesen vermag, wer sich ausgiebig mit den 38 (Stadt im Mittelalter) bzw. 25 (30jaehriger Krieg) Unterkapiteln beschaeftigt hat oder sich parallel mit ihnen beschaeftigt. <p> Der multimediale Erfahrungsraum der CD 'Die Stadt im Mittelalter' ist dreigeteilt und besteht aus drei grossformatigen, detailreichen Zeichnungen von Joerg Mueller--ein Stadtpanorama, eine Marktszene und ein Hausaufriss. Jedes dieser Bilder ist in 12 Sektoren unterteilt, die auf Bildschirmgroesse projiziert werden koennen und via Mausklick auf hervorstechende Details Zugang zu den Unterkapiteln gewaehren. Klickt man zum Beispiel das Stadttor an, setzt eine Ton-Bild-Sequenz zur Rechtsunsicherheit im Mittelalter und zur Attraktivitaet des staedtischen Rechtsraums ein; der Mausklick auf das Rathaus laesst ein Unterkapitel zu Herrschaft und politischen Organisationsformen innerhalb der Stadt ablaufen. Eine Gruppe von Haendlern auf dem Markt startet eine ausladende Sequenz zu Entwicklung und Organisation von Gilden, eine Werkstatt fuehrt zu Informationen ueber Handwerker und Zuenfte. Der Blick in die verschiedenen Zimmer des Hauses ermoeglicht die Begegnung mit mittelalterlicher Ernaehrung, hygienischen Verhaeltnissen und dem Familienleben. Die Unterkapitel greifen zumeist weit ueber ihren ausloesenden spezifischen Kontext hinaus und bemuehen sich um eine Verortung ihrer jeweiligen Thematik im Gesamtzusammenhang. In einigen Faellen ist zwar der Bezug zum Bildelement nicht ganz einsichtig oder bemueht (so fuehrt ein Klick auf einen ausserhalb der Stadt gelegenen Huegel zum Thema 'Aberglaube und Hexenverfolgung'), aber in sich sind die Kapitel stets konsistent. Jedes dieser 5-15minuetigen, gesprochenen Unterkapitel ist musikalisch unterlegt und bietet reichhaltiges Bildmaterial, in dem sich zeitgenoessische Abbildungen, Fotografien und Grafiken mischen. In einigen Faellen ist auch eine interaktive Einbindung des Anwenders vorgesehen, die sich jedoch zumeist auf 'Gegenstandsbefragungen' oder die Loesung allzu einfacher Aufgaben beschraenkt. Das Spektrum der behandelten Themen ist denkbar breit und reicht von der Bevoelkerungsentwicklung zum Strafvollzug, von der Pest zum Minnesaenger, von den grossen Handelswegen zur Badeanstalt, von der Rolle der Frau zum Heiligenkalender. Ueberraschend blass faellt jedoch der Blick auf Religion und Kirche aus, deren Allgegenwart im mittelalterlichen Alltag zwar angesprochen wird, aber keineswegs eine hinreichende Wuerdigung findet. Der interessierte Klick auf das Kloster jenseits der Stadtmauer laesst z.B. lediglich eine Animation zum Kraeutergarten des Klosters ablaufen--da haette man vielleicht besser ganz darauf verzichten sollen. Gelegentlich problematisch ist die unscharfe Periodisierung; in ihrem Bemuehen, stets Entwicklungen vom fruehen zum Spaetmittelalter aufzuzeigen, machen es die Autoren insbesondere juengeren Schuelern nicht gerade leicht, die zeitliche Orientierung zu behalten. <p> Waehrend 'Die Stadt im Mittelalter' gaenzlich ohne politische Geschichte und ereignisgeschichtliche Uebersichten auskommt, ist dies in 'Das Zeitalter des Dreissigjaehrigen Krieges' anders. Hier sind insg. 8 umfangreiche Unterkapitel den Voraussetzungen, der Genese und dem Verlauf des 30jaehrigen Krieges gewidmet, wobei es den Autoren gelingt, die komplexe Vermischung politischer und religioeser Faktoren seit der Reformation von ihren Urspruengen her verstaendlich zu machen, ohne ueber Gebuehr zu vereinfachen. In den Genuss dieser in sich geschlossenen Praesentation kommt jedoch nur, wer die Kapitel in der Reihenfolge der systematischen Themenliste abruft, denn auch in dieser CD ist der Ausgangspunkt ein multimedialer Erfahrungsraum, der keine lineare Navigation nahelegt. In diesem Fall handelt es sich um die 'virtuellen Raeume eines Chronisten', in denen sich der Anwender per Mausklick bewegen und verschiedenen Details naehern kann. Auch hier startet der Klick auf bestimmte Gegenstaende die jeweiligen Unterkapitel, deren Ueberschriften am Fuss des Bildschirms zuvor angezeigt werden--eine sinnvolle Verbesserung gegenueber der ersten CD. Wieder ist jedes Unterkapitel als musikalisch unterlegte Dia- bzw. Animationssequenz mit gesprochenem Text gestaltet. Gegenueber der 'Stadt im Mittelalter', wo das Konzept der virtuell begehbaren Vergangenheit ueberzeugend funktionierte, ist die Wahl der multimedialen Umgebung zur Erschliessung der Epoche des 30jaehrigen Krieges allerdings nicht von derselben Unmittelbarkeit. Die Idee, ueber die Umgebung der Studierraeume eines Geschichtsschreibers vorab sozusagen eine Reflexionsstufe vorzuschalten, zeigt die Ausrichtung auf eine aeltere Zielgruppe: das Niveau der einzelnen Kapitel wendet sich eher an Schueler der Oberstufe und interessierte Laien, und die Themen folgen einem systematischeren Zugriff. Angesichts der thematischen Gruppen, in die sich die Unterkapitel einteilen lassen (Ursprung und Verlauf des Dreissigjaehrigen Krieges, Kriegsalltag, Wirtschaft und Gesellschaft, Klima und Umwelt, Wissenschaft und Weltbild), ist die weitgehend willkuerliche Verteilung der Kapitel jedoch anfechtbar. Haette man nicht die verschiedenen 'Studierecken' des Chronisten zu einer thematischen Anordnung verwenden koennen? Zumal nicht ganz einsichtig ist, warum der Chronist beispielsweise neben dem aufgeschlagenen Band der 'Six livre de la Republique' eine mit Blut gefuellte Glasphiole und einen Pfefferstoessel aufbewahren sollte (womit jeweils die Themen 'Die neue Staatsrechtslehre des Jean Bodin', 'Die Entdeckung des Blutkreislaufs' und 'Der Ueberseehandel und der Pfeffer' erreicht werden). Die Attraktivitaet und Vielfalt der Raeume haette durch eine deutlichere Ordnung sogar noch gewinnen koennen. <p> Beide CD-ROMs sind, entgegen der Vertriebspolitik, die auch Klassensaetze anbietet, offenkundig zur individuellen Nutzung gedacht und eignen sich nur eingeschraenkt zur didaktischen Unterstuetzung im Unterricht: der Vortragscharakter der einzelnen Kapitel setzt nicht nur einen Einzelplatz- Nutzer voraus, sondern auch die Bereitschaft, den oft mehr als 10minuetigen Praesentationen geschlossen zu folgen--Bedingungen, die im Schulalltag wohl kaum gegeben sind. Hinzu kommt, dass die Texte nicht in schriftlicher Form vorliegen und auch die Bildmaterialien nicht exportierbar sind. Inwiefern hier die jeweils erhaeltlichen Begleitbuecher und Arbeitsmaterialien eine sinnvolle Ergaenzung darstellen, kann ich leider nicht beurteilen, weil sie den Rezensionsexemplaren nicht beigefuegt waren und auch separat vertrieben werden. Die fehlenden Exportfunktionen der CD-Anwendung werden sie in keinem Fall ersetzen koennen. <p> Diese Maengel stehen aber einem positiven Gesamturteil nur unter funktionalen Gesichtspunkten im Wege. Als virtueller Ausflug in die mittelalterliche Lebenswelt, als aufregende Begegnung mit der im Umbruch und Aufbruch befindlichen Krisenzeit der fruehen Neuzeit, sind beide Programme dazu angetan, einem jungen Publikum einen Zugang zur Geschichte zu eroeffnen, Fragen aufzuwerfen und Interesse zu wecken. Wer ein Geschenk fuer "computerisierte" Jugendliche sucht: dies waere meine Empfehlung. <p> Die Anwendungen sind fuer heute uebliche Standardkonfigurationen konzipiert (PC: ab 466/66Mhz mit mind. 8MB RAM lauffaehig; Windows 3.11 oder hoeher wird vorausgesetzt, wobei ab Windows 95 die Erst-Installation der Software automatisch ablaeuft. Macintosh: 68040/40Mhz mit mind. 8MB, ab Version 7.1), was bei der Bildqualitaet der Grafiken sicher hinter dem technisch Machbaren zurueckbleibt ('nur' 256 Farben auf 640x480 Pixel), aber in jedem Fall eine hinreichende Aufloesung gewaehrleistet.
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H-Soz-u-Kult, H-Net Reviews.
March, 1999.
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